Der Rotmilan kommt fast ausschließlich in Europa vor. Wir tragen für ihn eine besondere Verantwortung, denn die Bundesrepublik Deutschland beherbergt allein ca. 60 Prozent der
Weltpopulation und in einigen Gebieten gehen die Bestände stark zurück. Die Lebenssituation für den Rotmilan steht stellvertretend für die vieler Vogelarten der offenen Landschaften. Wenn es
gelingt, seinen Rückgang zu verhindern, ist nicht nur ihm, sondern auch diesen Arten geholfen.
Die Erhaltung des Rotmilans steht und fällt mit der Art und Weise der Landnutzung. Mit zunehmend ausgeräumter Landschaft, Intensivierung der Landwirtschaft und Zunahme von Monokulturen wird sich
dies für die Art negativ auswirken, weil sich ihr Nahrungsangebot verringert. Eine reich strukturierte Kulturlandschaft, wie sie durch eine naturverträgliche Landwirtschaft entsteht, ist die
beste Grundlage zum Erhalt des Rotmilans.
Der wissenschaftliche Name des Rotmilan lautet "Milvus milvus". Die alten Römer bezeichneten einen Greifvogel mit "Milvus". Der Name "Milan" stammt aus dem Französischen. Im
Volksmund ist noch die Bezeichnung "Gabelweihe" weit verbreitet.
Der Rotmilan ist Mitglied der Familie der Accipitridae (der Habichtartigen ). Dieser Familie gehören in Deutschland sein nächster Verwandter, der Schwarzmilan, sowie u.a. der Mäusebussard, der
Habicht, der Sperber, Adler und Weihen an. Mit ca. 60 - 65 cm ist der Rotmilan etwas größer als ein Mäusebussard; das Gewicht liegt bei etwa 900 bis 1200 Gramm. Weibchen sind geringfügig größer
und vor allem schwerer als Männchen. Das Gefiederkleid ist oberseits rostbraun mit helleren Federsäumen, unterseits rostrot mit schwarzen Schaftstrichen, der Kopf weißlich bis grau gefärbt.
Männchen und Weibchen sind am Gefieder nicht unterscheidbar. Jungvögel haben einen etwas dunkleren Kopf und in der ersten Zeit nach dem Selbständigwerden einen kürzeren Schwanz als erwachsene
Tiere.
Im Flug zeigen die langen, meist etwas gewinkelt gehaltenen Flügel auf der Unterseite einen großen weißen Fleck vor den schwarzen Spitzen der Handschwingen. Das auffallendste Merkmal aller
Rotmilane stellt der lange, frischbraune (Jungvogel) bis fuchsrote (Altvogel) und stark gegabelte Schwanz dar. Hierauf ist der volkstümliche Name "Gabelweihe" zurück zu führen. Der Rotmilan ist
wenig ruffreudig; bei der Balz und am Brutplatz ist häufiger ein gedehntes trillerndes "gliehihihihi" zu hören. Der Warnruf klingt wie "biijeh - biwitt".
Der Rotmilan bevorzugt offene, abwechslungsreiche und stark strukturierte Landschaften mit Altholzbeständen. Solche Landschaften finden sich oft im Bereich der Mittelgebirge.
Er meidet Höhen über 800 Meter. Seinen Horst legt er meist in alten Laub- oder Mischwäldern nahe am Waldrand an. Verstärkt werden, auch im EN-Kreis, in neuerer Zeit Klein- bis Kleinstgehölze
angenommen, die sich gelegentlich sogar in unmittelbarer Nähe menschlicher Siedlungen befinden.
Der Rotmilan kommt südlich des 60. Breitengrades in weiten Teilen Europas vor. Schwerpunkte der europäischen Verbreitung liegen in Deutschland, Frankreich und Spanien. Es gibt einige Brutpaare in
Nordwestafrika. Er ist bei uns ganz überwiegend ein Zugvogel, der die Winter in Frankreich, Spanien, Portugal und Nordafrika verbringt. Nicht selten sind aber einzelne Überwinterer oder
Überwinterungsgesellschaften zu beobachten. Der Rotmilan trifft Ende Februar/ Anfang März in seinen westfälischen Brutgebieten ein und verlässt diese ab Mitte August wieder, wobei die erwachsenen
Tiere in der Hauptsache zwischen Mitte September und Ende Oktober abziehen.
Der Weltbestand beläuft sich auf etwa 21.000 Paare. Davon leben allein in Deutschland ca. 12.000 Paare. Bei der Entwicklung des Weltbestandes zeigt sich ein uneinheitliches Bild: Einige Bestände
nehmen stark ab, andere verzeichnen lokal Zunahmen. In Nordrhein Westfalen gibt es ca. 450 - 500 Revierpaare. Unser Ennepe-Ruhr-Kreis befindet sich an der westlichen Verbreitungsgrenze der Art.
Die Anzahl der Revierpaare wird hier auf 7 - 8 geschätzt.
Die Ernährung des Rotmilans ist vielseitig und passt sich dem jeweiligen örtlichen Angebot an. Die Jagd wird fast ausschließlich aus dem Suchflug heraus in der Kulturlandschaft
betrieben. Er überfliegt täglich ein sehr großes Gebiet in relativ geringer Höhe und kann sich hierbei bis zu ca. 10 Kilometer von seinem Horst bzw. seinem Revierzentrum entfernen. Der Rotmilan
zeigt sich oft auch über menschlichen Siedlungen und ist dann gut zu beobachten.
Die Nahrung greift er dabei blitzschnell im Vorbeifliegen und ohne sich auf dem Erdboden nieder zu lassen. Er nimmt Kleinsäuger der freien Landschaft- vor allem Wühlmäuse wie die Feldmaus- kleine
bis mittelgroße Vögel - meist geschwächte, nestjunge oder gerade flügge Exemplare. Aas (z.B. Straßenverkehrs- und Mähopfer), Fleischabfälle sowie gelegentlich kranke oder tote Fische.
An regnerischen Tagen kann man den eindrucksvollen Vogel aber auch bei der "Bodenjagd" beobachten. Dann sind nämlich Regenwärmer eine beliebte Nahrung, die er - oft in Gesellschaft von
Mäusebussarden - mit ungelenken Sprüngen "erbeutet".
Beide Partner bauen am Horst, der meist in lichten, kleineren Althölzern oder in Randbereichen größerer Waldungen angelegt wird. Im südlichen Ennepe-Ruhr-Kreis befinden sich
die meisten Horste auf älteren Buchen oder Eichen, in regelmäßig mehr als zehn Metern Höhe über dem Erdboden.
Der Horst wird aus Reisern errichtet. Insbesondere die Äste und Zweige im äußeren Randbereich der Horste wirken oft "liederlicher" zusammen gefügt als z. B. beim Habicht oder Mäusebussard. Im
Gegensatz zu diesen Arten begrünt der Rotmilan seinen Horst nicht mit belaubten bzw. benadelten Ästen und Zweigen.
Die Größe und Form der Horste variiert mitunter in Anpassung an die Gegebenheiten des Horstbaumes beträchtlich. Manchmal sind die Horste so klein bzw. schmal gebaut, dass der lange Gabelschwanz
des brütenden Weibchens den Außenrand weit überragt. Charakteristisch für den Rotmilan (und auch für den Schwarzmilan) ist die Auskleidung der Horstmulde mit Papier, Plastikfetzen, Lumpen, Fellen
und anderen Abfällen.
Der Rotmilan führt vor Brutbeginn im März eindrucksvolle Balzflüge durch, begleitet von pfeifenden und trillernden Rufen. Es findet eine Jahresbrut statt. Die zwei bis drei,
selten vier Eier werden meist Anfang bis Mitte April gelegt. Sie wiegen um die 60 Gramm, messen 57 X 45 mm und zeigen auf trüb weißem Grund rötlich braune Flecken und dunkle Schnörkel. Für die
Bebrütung ist fast ausschließlich das Rotmilanweibchen zuständig. Der Legeabstand zwischen den einzelnen Eiern beträgt 2-3 Tage; nach durchschnittlich 33 Tagen Brutdauer schlüpfen die Jungen. Da
ab dem ersten Ei gebrütet wird, sind die jüngeren Geschwister deutlich kleiner als die älteren.
In den ersten 14 Tagen nach dem Schlüpfen werden die Jungen im Horst vom Weibchen betreut, während das Männchen die Nahrung heranschafft. Später gehen beide Elterntiere meist im Wechsel auf die
Jagd. 45- 50 Tage verbringen die Jungvögel als "Nestlinge" im Horst. Für etwa 10-14 weitere Tage halten sie sich als "Ästlinge" meist gedeckt in seiner näheren Umgebung auf. Das laute
Bettelpfeifen der Jungen ist dann aus dem Brutgehölz heraus gut zu hören.
Danach wird zunächst selten, dann immer öfter, für Übungs- u. Suchflüge (den Beute tragenden Altvögeln entgegen) der Horstwald verlassen. Nach dieser ebenfalls ca. 14 Tage dauernden
"Bettelflugphase" führen die Altvögel ihre Jungen aus dem Revier und kehren mit ihnen nicht mehr dorthin zurück. Allmählich löst sich die Familie auf.
Die Rote Liste der Brutvögel Deutschlands (Dritte gesamtdeutsche Fassung vom 08.05.2002) führt den Rotmilan auf der Vorwarnliste (Kategorie V). In diese Kategorie werden Arten
eingereiht, die aktuell noch nicht gefährdet sind, von denen aber zu befürchten ist, dass sie innerhalb der nächsten 10 Jahre gefährdet sein werden, wenn bestimmte Faktoren weiterhin einwirken.
Noch negativer stellt sich die Situation in Nordrhein - Westfalen dar. Die Rote Liste der gefährdeten Vogelarten Nordrhein-Westfalens, 4. Fassung, Stand Oktober1996, führt ihn in der Kategorie 2
= stark gefährdet. Stark gefährdet sind danach Arten, deren Bestände erheblich zurückgegangen sind oder durch laufende bzw. absehbare menschliche Einwirkungen erheblich bedroht werden. Der
Bestand im südlichen Ennepe-Ruhr-Kreis weist eine leicht ansteigende Tendenz auf.
Die Rotmilanbestände in Nordrhein-Westfalen sind in erster Linie gefährdet durch:
Ausräumung der Landschaft und Intensivierung der Landnutzung. Weitere Gefährdungsursachen sind:
Forstliche Maßnahmen in Horstnähe zur Brutzeit, Freizeitaktivitäten in Horstnähe zur Brutzeit Anwendung von Pestiziden, Freileitungen, insbesondere Mittelspannungsleitungen und Straßenverkehr,
Illegale Bejagung.
Wenn man die Gefährdungsursachen einmal näher betrachtet, wird deutlich, dass eine ganze Reihe an Schutz- und Förderungsmaßnahmen von einer ganzen Reihe an Akteuren und, soweit
als möglich, aufeinander abgestimmt eingeleitet und durchgeführt werden müssen. Angesprochen sind hier die Landwirte, der Naturschutzgesetzgeber, die Forst- u. Landschaftsbehörden,
Versorgungsunternehmen, der ehrenamtliche Naturschutz und viele andere mehr.
Nicht zuletzt beeinflussen wir alle als Verbraucher durch unser Einkaufs- und Konsumverhalten die Gestaltung der Landschaft und damit das Schicksal des Rotmilans. Mit der Bevorzugung heimischer,
ökologisch erzeugter Produkte bei unserem täglichen Einkauf können wir einen wichtigen Beitrag zur naturverträglichen Landwirtschaft und damit zur Erhaltung und Wiederherstellung einer reich
strukturierten Kulturlandschaft leisten. Es ist letztlich also auch unser Einkaufs- u. Ernährungsverhalten, das über die Zukunft dieses "echten Europäers" entscheidet.
Brune, J., Guthmann, E., Jöbges, M., Müller, A.: Zur Verbreitung und Bestandsentwicklung des Rotmilans /Milvus milvus) in Nordrhein-Westfalen. Veröffentlicht in Charadrius. Zeitschrift Für Vogelkunde, Vogelschutz und Naturschutz in Nordrhein-Westfalen. 38. Jahrgang. Heft 3. S. 122-138. Nordrhein-Westfälische Ornithologen Gesellschaft (NWO) (Hrsg.) 2002; GRO (Gesellschaft Rheinischer Ornithologen) und WOG (Westfälische Ornithologen Gesellschaft: Rote Liste der gefährdeten Vogelarten Nordrhein-Westfalens. Charadrius 33. S. 69-116. Nordrhein-Westfälische Ornithologen Gesellschaft (NWO) (Hrsg.) 1997; Mebs, Theodor: Greifvögel Europas. 3. Auflage. Stuttgart: Franckh-Kosmos 2002; NABU (Naturschutzbund Deutschland e. V.): Vogel des Jahres 2000 - Der Rotmilan. Jahresvogelbroschüre. Bonn 2000; Ortlieb, Rudolf: Der Rotmilan. In: Die neue Brehm-Bücherei. 3. überarbeitete Auflage. Wittenberg, Lutherstadt: Verlag A. Ziemsen 1989; Steiner, Ralf: Brutbestandserfassung des Rotmilans in Teilbereichen des südlichen Ennepe-Ruhr-Kreises 1998-2004. unveröffentlicht.